Bilder & Textschnipsel

Lychen

„Lychen ist beinahe eine Insel. Nesselpfuhl, Stadtsee und Oberpfuhlsee umgeben das Stadtzentrum. Weiter außerhalb: Großer Lychensee, Zensee, Wurlsee. Durch die umliegenden Wälder bekam Lychen den Beinamen Flößerstadt. Einst war die Flößerei ein wichtiger Erwerbszweig. Die Lage ist günstig, denn über den Großen Lychensee, durch die Woblitz und die Havel erreicht man Hamburg und Berlin …“

Das Bild zeigt den Nesselpfuhl, fotografiert von einer Sitzbank mit Aussicht an der Berliner Straße. Tags darauf begab ich mich aufs Wasser mit OL FINN meinem Faltboot und paddelte vom Wurlsee kommend durch den Nesselpfuhl in den Großen Lychensee. Es war der erste Tag meiner Wasserwanderung und der Beginn meiner Reise durch Mecklenburg-Vorpommern mit Faltboot, Fahrrad und zu Fuß.

(Aus: Mecklenburg-Vorpommern. Mit Faltboot, Fahrrad und zu Fuß. Teil I: Im Faltboot unterwegs auf der Mecklenburgischen Kleinseenplatte).


Stolpsee

„Meine Karte verzeichnete einen Biwakplatz auf der gegenüberliegenden Seite des Sees am Beginn einer Bucht. Den wollte ich mir ansehen. Die Entfernung betrug nur einen Kilometer, aber ich musste das Fahrwasser der Motorboote kreuzen, die hier kolonnenartig zwischen Berlin und der Müritz unterwegs sind. Die meisten Freizeitkapitäne nahmen wenig Rücksicht auf den Paddler. Ohne Kursänderung und mit zügiger Geschwindigkeit fuhren sie vorbei. Die Heckwellen ihrer Boote trafen auf die Windwellen und es entstand eine diffuse Kreuzsee, die mein Faltboot zünftig ins Schaukeln brachte. Auf der anderen Seite angekommen, verbarg ein dichter Schilfgürtel das Ufer. Irgendwo hier musste der Platz sein. Ich paddelte am Schilfsaum entlang. Und tatsächlich, nach einer Weile zeigt sich eine kleine, sichelförmige Bucht mit kurzem, flachem Sandstrand und weiß blühenden Seerosen. Ein letzter dosierter Paddelschlag setzte OL FINN auf den Strand. Geschafft. Mein erster Biwakplatz …“

(Aus: Mecklenburg-Vorpommern. Mit Faltboot, Fahrrad und zu Fuß. Teil I: Im Faltboot unterwegs auf der Mecklenburgischen Kleinseenplatte).


Großer Pälitzsee

„Um zehn versank die Sonne hinter den jenseitigen Hängen. Drüben war noch ein Landzipfel Brandenburg, mit schwarzem Wald und ein paar Ferienhäusern am Ufer. Ich saß auf dem Steg und spielte mit den Zehen im Wasser. Die milde, goldgelbe Fläche des Sees atmete einsam in die Nacht. Kein Motorengeräusch zersägte die Stille, kein Gelärme verschreckte Mensch und Tier. Die Schönheit der Ruhe war unübertroffen …“

(Aus: Mecklenburg-Vorpommern. Mit Faltboot, Fahrrad und zu Fuß. Teil I: Im Faltboot unterwegs auf der Mecklenburgischen Kleinseenplatte).


Drosedower Bek

„Ich paddle in die Drosedower Bek und das Panorama wird ursprünglich, beinahe wild. Üppige Farne und hohe Gräser wuchern vor einer Sumpflandschaft, aus der abgestorbene Bäume und Stümpfe ragen. Dann wieder steht Wald und grünes Dickicht. Im Wasser liegt ein massiger Stamm und schmälert die Durchfahrt. Ich wäre nicht verwundert, würde ein Alligator auftauchen. Ein Schrei ertönt. Ein Vogel? Noch ein Schrei. Dann wieder Stille. Ich lasse mich treiben. Und bin mutterseelenallein …“

(Aus: Mecklenburg-Vorpommern. Mit Faltboot, Fahrrad und zu Fuß. Teil I: Im Faltboot unterwegs auf der Mecklenburgischen Kleinseenplatte).


Mirow

„Der Regionalexpress an die Seenplatte fuhr mit Verspätung, denn der Fahrradwaggon war rappelvoll. Ich hatte eineinhalb Stunden auf einem Klappsitz verbracht, eingepfercht zwischen Waggonwand und Fahrrädern und auf Tuchfühlung mit prall gefüllten Fahrradtaschen, Isomatten, Schlafsäcken und einem Fahrradanhänger vor den Füßen. Es war mir unmöglich ein Bein zu strecken. Trotzdem klagte ich nicht, denn ich saß. Denen die standen, und das waren die meisten, erging es schlechter. Reifen, Lenker und Pedale drückten gegen ihre Beine und Hüften, zwangen sie in verkrampfte Körperhaltungen und führten zu plötzlichen Ausrufen, wie „Autsch!”, „Aaah!” oder „Pass doch auf!” Mein Fahrrad lehnte zugestellt am Fenster gegenüber. Vier Räder lagen auf ihm …“

(Aus: Mecklenburg-Vorpommern. Mit Faltboot, Fahrrad und zu Fuß. Teil II: Mit dem Fahrrad von Neustrelitz nach Stralsund).


Neu Gaarz bei Lärz

„Neu Gaarz ist ein glückliches Dorf. Beinahe wäre es zerstört worden. Ein kunstvolles Ehrenmal am Ortseingang erinnert daran. Es war 1982, als ein russischer Pilot seine defekte, voll munitionierte MIG 27, entgegen der Befehle, nicht im Schleudersitz verließ und so verhinderte, dass die Maschine auf die Ortschaft fiel. Neu Gaarz entging einer Katastrophe. Menschen und Tiere blieben verschont. Der Pilot aber kam ums Leben. Seine Maschine stürzte außerhalb auf einen Acker.

Ich stehe vor dem Denkmal, eine schweigsame Minute. Ein gelber Schmetterling erscheint, fliegt aufgeregte Bahnen und lässt sich im hohen Gras auf einer weißen Blüte nieder. Da rettet einer Leben – und stirbt. Wie viel heldenhafte Taten geschehen, ohne dass jemals ein Denkmal errichtet wird? …“

(Aus: Mecklenburg-Vorpommern. Mit Faltboot, Fahrrad und zu Fuß. Teil II: Mit dem Fahrrad von Neustrelitz nach Stralsund).


Dobbin-Linstow

„Nahe Dobbin stoppe ich an einer übergroßen Buche. Ein Schild weist sie als Naturdenkmal aus. Mit ihrer Gestalt und der vom Wind geformten Krone stellt sie ein besonderes Wahrzeichen der Feldmark dar. Mit einem Stammumfang von mehr als acht Meter ist sie die stärkste Buche Mecklenburg-Vorpommerns und vermutlich auch eine der stärksten Europas. Das Alter der „Schäferbuche“ wird auf 200 Jahre geschätzt, doch ihre Tage sind gezählt, denn der Brandkrustenpilz hat den Baum befallen. Um den kranken, umsturzgefährdeten Baum nicht fällen zu müssen, hat man den Weg, der an ihm vorbeiführt, gesperrt. Durch das benachbarte Feld wurde ein neuer provisorischer Weg gezogen, in gebührendem Abstand. So kann der dem Tod geweihte Baumriese weiterhin betrachtet werden und seine Reststandzeit friedlich überdauern. Den Namen bekam der Baum nach den Schäfern, die hier im Sommer für sich und ihre Herden einen Schattenplatz suchten …“

(Aus: Mecklenburg-Vorpommern. Mit Faltboot, Fahrrad und zu Fuß. Teil II: Mit dem Fahrrad von Neustrelitz nach Stralsund).


Dierhagen

„Gleich nach dem Aufstehen werfe ich mich in die Wellen. Der Sprung kostet Überwindung. Aber das Vergnügen mit den klatschenden Wasserbergen ist es allemal wert. Freund Wind, der die See aufwühlt, ist lebhaft geblieben, und am Himmel prangt dunkles Gewölk. Man könnte annehmen, dass sich das Wetter verschlechtert, wäre da nicht ein wolkenfreier Streifen am westlichen Horizont, der langsam in meine Richtung zieht. Ich denke, um den Fortgang des Sommers muss ich mir keine Gedanken machen …“

(Aus: Mecklenburg-Vorpommern. Mit Faltboot, Fahrrad und zu Fuß. Teil II: Mit dem Fahrrad von Neustrelitz nach Stralsund).


Putbus

„Gehen ist etwas sehr Einfaches. Man zieht seine Schuhe an und setzt einfach einen Fuß vor den anderen. Hat man ein Ziel, ist es gut. Hat man keins, läuft man einfach solange bis man eine Eingebung bekommt. Spätestens wenn man durstig, hungrig oder müde wird, fallen die Ziele wie Herbstlaub vom Himmel …“

(Aus: Mecklenburg-Vorpommern. Mit Faltboot, Fahrrad und zu Fuß. Teil III: Durch Rügen und Usedom – zu Fuß, mit Bahn und Fähre).


Ostseeküste

„Drei Ohrenquallen treiben an den Strand, ein Seeigel sucht sich einen neuen Platz im Sand, an Bord eines Frachters wird die Hundewache abgelöst, der Nachtportier deckt den Frühstücksraum, eine Marathonläuferin beginnt mit ihrem Training, ein Paar, dass vier Kinder hat, will noch ein fünftes, ein Priester träumt von einer Frau, unter der Seebrücke treibt ein Hering ohne Kopf, der erste Zug erreicht den Bahnhof, im Garten einer Villa fällt ein Blatt von einem Baum, in Japan sinken die Aktienkurse, im Fernsehen läuft eine humoristische Komödie, ein Vater schlägt seinem Sohn die flache Hand noch vor dem Frühstück ins Gesicht. Menschen weinen und Menschen lachen, ich liege mit offenen Augen im Bett, starre an die Decke und frage mich, ob sich nach meiner Rückkehr in meinem Leben etwas verändert. Vier Wochen sind keine lange Zeit, doch wenn man auf Reisen ist, genügen sie, um sich vollkommen aus dem Alltag zu entfernen. Dann, wenn es auf das Reiseende zugeht, realisiert man, dass die sorgenfreie Zeit vorüber ist. Vorauseilende Gedanken katapultieren einen zurück ins Hamsterrad …“

(Aus: Mecklenburg-Vorpommern. Mit Faltboot, Fahrrad und zu Fuß. Teil III: Durch Rügen und Usedom – zu Fuß, mit Bahn und Fähre).

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